Hinweis:
Ich beschränke mich in dieser Chronologie auf die sachlichen Inhalte der Abläufe, in aller Kürze. Eine ausführliche Beschreibung ist im Buch zu finden, welches in der Entstehung ist. Gespannt?

Januar 2021

Mir war es schon von Anfang an wichtig, möglichst und möglichst lange selbständig zu bleiben. Als technikbegeisterte Person habe ich immer wieder ein Auge auf die möglichen Hilfestellungen in diesem Bereich geworfen. Da ich nach der Diagnose noch fast 4½ Jahre berufstätig blieb, lag der Fokus bei den Büroarbeiten, welche sich auch auf den Heimbedarf projizieren liessen.

Aufgrund von Covid-19 war ich 2020 und Anfang 2021 «gezwungen» deutlich mehr Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen, als mir lieb war. Dies führte zu mehr Interaktion mit der Wohnung, wie beispielsweise TV, Radio, Licht etc. und zeigte auch die Hürden und Grenzen der Selbständigkeit. Da sich die angeordneten Lockdowns und damit verbundenen Engpässe bei den Dienstleistungen mit dem Wechsel zu meinem neuen Elektrorollstuhl kreuzten, konnte dieser nicht wie gewünscht abgewickelt bzw. abgeschlossen werden. So bin ich nun auch schon seit fast zwei Monaten von der Handy-Bedienung und somit von der bisher verfügbaren Umfeldsteuerung getrennt – was sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlt. Eine Änderung dieses Umstandes ist noch nicht absehbar und die einzige Möglichkeit der «freien Bewegung» ist die Nutzung des PC, ansonsten hat es Ähnlichkeit mit der Bewegungsfreude eines Wals an Land. 

Da Füsse stillhalten und Nichtstun nicht zu meinen stärksten Eigenschaften gehören, begann ich mich mit dem Thema des Smart Home auseinanderzusetzen und fand, wie erwartet viele Möglichkeiten, welche meinen krankheitsbedingten Einschränkungen neue Türen öffneten. Für einen kurzen Moment übernahm die Faszination und Tatendrang das Steuer und ich hatte gedanklich schon fast «mein Haus der Zukunft» gebaut, als ich die Füsse wieder auf den Boden bzw. den Hintern auf den Stuhl brachte und mit Blick auf Budget und Rahmenbedingungen, die Planung der umsetzbaren Möglichkeiten in Angriff nahm.  

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Februar 2021

Der neue Monat war kaum angebrochen, da mussten wir einem Coronaverdacht in unseren vier Wänden nachgehen. Melissa hatte vom Kindergarten heimkommend mit Husten angefangen, welcher sich dann zum Wochenende hin bei Daniela mit zusätzlichen Halsschmerzen bemerkbar machte und mich ein paar Tage später einholte. Das typische Viruskarussell in einer Familie mit Kind.

Da ein weiterer Filmtag mit Donat (Mediafish/SRF) vor der Türe stand, begab sich Daniela vier Stockwerke tiefer, zum Hausarzt, um einen Coronatest über sich ergehen zu lassen. Das Ergebnis war, wie erwartet, negativ – also positiv!

Dieser Drehtag war der erste, welcher auch Drehorte ausserhalb unseres Wohnzimmers beinhaltete. Nach Interviewaufnahmen, nach denen meine Stimme schwächelte und mein Husten aufzutrumpfen begann, ging es zum Coiffeurbesuch. Um auch hier die Szenen optimal einzufangen, galt es einzelne Elemente, wie aus- und einsteigen beim Auto zwei/dreimal zu wiederholen.

Nun war es soweit, dass mich mein Husten und damit wohl auch das Grippevirus eingeholt hatte und ich ein unliebsames Wattestäbchen in die Nase einführen lassen musste. Zumindest konnte diese unangenehme Situation mit einem negativen Testresultat abgeschlossen werden.

Nur wenige Tage später erhielt ich meine Covid 19 Impftermine, den ersten Ende Monat und den zweiten einen Monat später.


Die Active Communication konnte in einem ersten Termin einen Teil der Umfeldsteuerung vom alten zum neuen Rollstuhl wechseln. Somit war nun auch mein Handy wieder über den Elektrorollstuhl zu steuern. Dies passte bestens zum Abschluss meiner ersten Etappe der Smart Home Einrichtung. Zu meinem Glück entdeckte ich ein Schnäppchenangebot für den Google Mini (ein smarter Lautsprecher, per Sprachbefehl steuerbar) und ich schnappte mir gleich vier davon fürs Wohnzimmer, Büro, Eltern- und Kinderzimmer. Über diese kann man sich alle Fragen beantworten lassen, wie man dies auch von Google auf dem PC kennt.  Im Weiteren verknüpfte ich meinen Spotify und meinen TuneIn Account und habe so in allen Räumen Zugriff auf Musik oder Nachrichten. Auch die Glühbirnen im Büro, Gang und Esszimmer ersetzte ich mit Philipps Hue, womit ich auch diese über Google per Sprachbefehl in das passende Stimmungslicht bringen kann.

Zu Beginn hatte Melissa Spass daran, sich von Google Witze erzählen zu lassen oder «unanständige» Wörter in Sprachen wie russisch oder japanisch übersetzen zu lassen. Mittlerweile ist sie Herrin über die Musikwahl, da Google ihren Befehlen besser Folge leistet, als meinen. Dies wäre grundsätzlich kein Problem, da wir immer wieder gemeinsame Musik finden, aber leider ist der Anteil an Kinderliedern bei ihr noch vorherrschend…..


Nun, da der Frühling sich langsam angekündigt hatte (heute weiss ich es besser), startete ich einen ersten Versuch mit der neuen GoPro Kamera und wie diese am Rollstuhl eingesetzt werden könnte.

März 2021

Ein weiterer Drehtag konnte in Angriff genommen werden. Dies unter dem Thema «ein ganz normaler Tag».

Somit begann dies früh morgens am Bett und wie ich mich, mit am Rollstuhl eingehängten Füssen, hochzog, um am Bettrand zu sitzen. Danach folgte die Morgenpflege, wobei der Umstand – duschen (jugendfrei), Kamera und neue Leute - vorab miteinander besprochen wurde. Ich konnte nun das Gefühl nachvollziehen, welches wohl Schauspieler bei ihrer ersten Duschszene oder ähnlichem haben. Am Anfang eher unangenehm. Mit der professionellen, aber auch humorvollen Art aller Anwesenden ging die Kamera bald «vergessen».

Frisch gestylt gingen wir nun auf eine unserer Spazierrunden, welche mit der Kamera begleitet wurde. Daniela und Melissa waren mit dem Velo unterwegs, Donat und Simon auf flinken Füssen mit Kamerastativ und Tasche bewaffnet. Wer schon mit einem fünfjährigen Kind auf Kies- und Feldwegen unterwegs war, kann sich wahrscheinlich vorstellen, welchen Unterhaltungswert die kommenden 60 Minuten für uns Eltern hatten. Um die letzten «Antriebsreserven» von Melissa zu aktivieren, steuerten wir zum Schluss den Spielplatz an. Die letzten Meter musste Melissa von mir «getragen» werden und unsere Begleiter halfen dem Kindervelo den Spielplatz zu erreichen. Die leichte Nässe in Melissas Gesicht, welche weder dem Fahrtwind noch der Luftfeuchtigkeit entsprang, wich sofort mit Erblicken der Spielanlage.  
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Auf der Spazierfahrt zeigte sich, dass kreative und geschulte Auge eines Kameramannes, mit einer speziellen Szene, die er einfing. Ich bin gespannt, wer das Spezielle erkennt! 

  • Die Flaggen im Hintergrund sind von links nach rechts die Schweizer Flagge (ich bin Schweizer), unser Wohnkanton Aargau und die italienische Flagge (Daniela ist Italienerin).​​​​​​​

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​​​​​​​Der Tag war gekommen, an dem der Eintritt im REHAB Basel bevorstand. Für die nächsten vier Wochen würde ich dort, bei Vollpension, meinen täglichen Therapien nachgehen können.
Die erste Herausforderung gab es bereits beim Beladen des Autos zu bewältigen. Nebst den Rollstühlen und dem Koffer, galt es auch meinen Bürostuhl und den ganzen Elektronikpark im Auto zu verstauen. Zum Glück war mein Kollege, der mich fuhr, auch in den 80er grossgeworden, denn das Beherrschen von Tetris erwies sich als klarer Vorteil hierfür.
Der Eintritt erwies sich, wie immer, sehr unkompliziert und alles war bereits vorbereitet. Beim letzten Aufenthalt bescherte mir der Zufall, das gleiche Zimmer, wie bei meinem ersten Aufenthalt drei Jahre zuvor. Der dritte Aufenthalt dieses Jahr wies mir ein neues Zimmer zu, mit dem «wunderbaren» Ausblick auf das benachbarte Gebäude und dessen Büroräumlichkeiten. Auch heuer durfte der Zufall nicht auf sich warten lassen und ich hatte tatsächlich den gleichen Zimmernachbarn, wie schon beim ersten Aufenthalt vor vier Jahren. Diese Kombination konnte nicht besser sein, denn wir hatten schon damals einheitliche Schlafenszeiten und jede Menge Spass. Das Aufatmen war beiderseits gross, denn in einem Zweierzimmer ist ein passender Zimmernachbar einer der wichtigsten Faktoren für einen guten und entspannten Aufenthalt über mehrere Wochen.
Das Personal der Station 5 hatte in der Zwischenzeit ein paar Veränderungen erlebt, doch die gute Stimmung und die gute Arbeit blieben erhalten. Ich glaube man kann sagen, dass wir innert kürzester Zeit zum Lieblingszimmer aufstiegen. Unsere unkomplizierte, fröhliche und manchmal durchgeknallte Art liess kein
en Platz für negative Schwingungen. Dies führte wohl auch dazu, dass wir zum «Ausbildungszimmer» für die Pflegehelfer (Studenten, angehende Physio etc.) avancierten.
Das Hauptmerkmal unseres Zimmers war viel Musik und Licht bis Mitternacht. Da der Aufwand mich zu Bett zu bringen noch immer sehr klein ist – mit wenig Unterstützung aufstehen, ins Bett legen und zudecken – erhielt ich das okay die Bettgehzeit mit der Nachtwache abzusprechen.
Früher hatte ich immer gut Speisen können und dies war auch dieses Jahr wieder so. Es gab eine Menükarte, mit einer kleinen Auswahl und mit dem Hinzufügen eines ++ gab es auch eine etwas grössere Portion. Diese Möglichkeit konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Obwohl mein Zimmernachbar bis anhin auf das Dessert beim Mittagessen verzichtete, kam dieses ab meiner zweiten Woche wieder auf den Bestellzettel. Im Sinne einer gemeinschaftlichen Zimmerorganisation konnte diese Extraportion Energie meinem erhöhten Bedarf zugeführt werden, um die tägliche Arbeit mit dem Physiotherapeuten, im Kraftraum und auf dem Velo leisten zu können. Natürlich kam dabei auch die genüssliche Seite meines Daseins auf ihre Kosten.

Der Fokus des diesjährigen Aufenthaltes lag nicht, wie es bis hierhin den Anschein machte, auf einem Wellnessaufenthalt, sondern auf dem Erhalt und der Optimierung der Mobilität.
Im Kraftraum konnte ich die Bein- und Rumpfmuskulatur gezielt und kontrolliert mobilisieren. Mein Kopf wusste natürlich noch genau, welche Gewichte ich ein Jahr zuvor gestemmt hatte und wollte genau da ansetzen. Keine gute Idee, wenn man bedenkt, dass das Coronajahr dazwischen kein Training zuliess. Dies entsprach auch der Vorstellung meiner Therapeutin und ich begann auf Stufe 30 statt 70. Nach dem ersten Set à 20 Wiederholungen erhöhte ich auf Stufe 35 für die verbleibenden zwei Sets. Innerlich dachte ich, jaja da geht noch mehr, doch der Muskelkater in den folgenden Tagen belehrte mich eines Besseren.
Die Übungen für die Rumpfmuskulatur konnte ich erstaunlich gut auf der Stufe 100, wie vor einem Jahr, beginnen und auch drei Sets ohne Probleme absolvieren.
Nach dem ersten Training hatte ich einen fürchterlichen Muskelkater in den Beinen und der Körper spürte die ungewohnte Trainingsintensität. Am Freitagnachmittag wollte ich die kurze Pause vor der letzten Trainingseinheit der Woche im Kraftraum mit einer kurzen Pause auf dem Bett nutzen und war innert weniger Minuten bereits im Land der Träume angekommen. Somit hat mein erstes Wochenende zwei Stunden früher angefangen.

In den folgenden drei Wochen hatte es sich im Körper auf den neuen Rhythmus eingestellt und die sportliche Betätigung fühlte sich gut an und der Muskelkater war kein Thema mehr.

In der Physio legten wir uns auf zwei Schwerpunkte fest. Zum einen die Stabilisierung der Rumpfmuskulatur in Form von «sitzen ohne Rückenlehne» und zum anderen Gehtraining.
Beim Gehtraining mussten wir herausfinden, ob gehen in aufrechter Position möglich ist und welche Hilfsmittel dies unterstützen können. Es gab einen speziellen Stehtisch auf Rollen, wo ich dann die Arme auf angenehme Höhe auflegen konnte, um somit die Belastung der Rückenmuskulatur zu reduzieren. Dies funktionierte mehr oder weniger gut und wir wagten einen Versuch mit einem Rollator, der eine Armauflage hatte. Dieser rollte wesentlich leichter als der Stehtisch und bot mir somit auch deutlich weniger Stabilität. Sobald sich mein Körpergewicht begann in eine Richtung zu verlagern, rollte der Rollator so schnell weg, dass ich mich nicht mehr halten konnte.
Somit war das Thema Rollator gestrichen. Zusätzlich wandte ich ein, dass ich im Alltag keine Hilfestellungen in Anspruch nehmen kann, mangels Kraft in Armen und Händen. Auch hatte sich gezeigt, dass sich mein Körper ein «neues Gleichgewicht» geschaffen hat. In meiner neuen normalen gebückten Körperhaltung hatte ich ein gutes und kontrolliertes Gleichgewicht, stehend und auch in Bewegung. In aufrechter Position hatte ich mittlerweile das Gefühl, dass ich nach hinten kippe.

Das Gehtraining bestand darin herauszufinden, wie weit ich selbständig gehen kann und inwieweit ein zweiter und dritter Durchgang kurz danach möglich ist.
Im ersten Durchgang konnte ich eine Strecke von 12 Metern selbständig gehen, abgesichert durch die Therapeutin. Nach einer kurzen Pause nahm ich den zweiten Durchgang in Angriff, beim dem ich noch 8 Meter problemlos absolvierte. Nach einer weiteren kurzen Pause ging es in die dritte Runde, bei der noch 5 Meter ohne Probleme möglich waren.
Die Einschränkungen kommen nicht von der Kraft in den Beinen, sondern von der Kraft der Rückenmuskulatur. Mit zunehmender Anstrengung breitet sich die Muskelanspannung über den ganzen Körper aus, womit das Gehen merklich erschwert wird. Als kleine Hilfestellung wurde mir eine medizinische Leibbandage (eine Art Korsett) angelegt, welche die Rumpfmuskulatur ein wenig stütze.

Damit ich den Beinen noch etwas Gutes tun konnte, setzte ich mich im Anschluss auf den Velotrainer und legte jeweils ca. 10 Kilometer in ca. 40 Minuten zurück.

Mit der Ergotherapie übten wir in drei Einheiten das Fahren mit der Kopfsteuerung. In der ersten Einheit ging es darum, die Eigenheiten und den Umgang kennen zu lernen. In der Zweiten bewegten wir uns im Gebäude, um die Situation mit Hindernissen und engen Platzverhältnissen kennen zu lernen. In der Dritten waren wir draussen und übten das Überqueren einer Strasse und die damit verbundenen Tücken der Schwelle/Rampe, welche eine unkontrollierte Kopfbewegung verursachen kann, mit entsprechender Reaktion der Steuerung. Auch das nach links und rechts schauen vor dem Befahren der Strasse muss geübt werden, da bei seitlicher Kopfneigung die Steuerung eine entsprechende Kurve fahren möchte.
Die Kopfsteuerung hat sich als praktisches Tool erwiesen – sofern die Halsmuskulatur genügend Kraft aufweist – womit man sich im offenen Gelände sehr schnell zurechtfindet. Sobald Hindernisse, Ablenkungen oder Stresssituationen dazukommen, zeigt es sich, dass man ohne Routine sehr schnell im Schilf steht – im wahrsten Sinne des Wortes.

Die vier Wochen im REHAB vergingen wie im Fluge, was definitiv dem perfekten Zimmernachbarn und einem tollen Pflege- und Therapeutenteam zu verdanken ist.